Poetry

Kleito

Kleito is a book imagined as a six-pointed star, by contrast to Atlantis, the dwelling land of princess Kleito, which was imagined by Plato as a series of co-centric circles. The extracts below, translated into German by Elena Pallantza for a reading at the FokusLyrik Festival in Frankfurt in 2019, come from the first chapter: Widows, in which Marie Tharp, Juana Inés de la Cruz y Sofonisba Anguissola appear.

 

 

Witwen

 

I.

 

Begleitet mich in meiner plötzlichen Manie oder werdet mich direkt los, aber aufrichtig. Vor welchen Vögeln, welchen Reptilien werde ich ihre Gestalt aufheben, ohne dass sie zerstückelt wird oder in Gleichgültigkeit aufgelöst? Sie weint am Tisch in einem Café im Marais und verhüllt dabei ihr Gesicht. Mein Blick irrt außer Kontrolle, und was ich in der Nacht sah – die wilde Verlassenheit – das habe ich als einheimisch erkannt. Über die Städte irrt mein Blick. Über die Witwen, die sie sanft an der Schulter berührt – niemals ihre Trauer unterbrechend, nur dass sie gerade einen momentlang hierherschauen, blitzschnell begreifen, dass es um Rettung geht, und erlauben, dass sie gestrickt wird. Im Augenblick, in dem ich sie erreiche, weint sie, und ich, wer weiß woher gerade angekommen – da alle immer ankommen, die unterwegs sind – setze mich ihrem Weinen aus. Die Trauernde schließt die ganze Welt in ihre Trauer ein. Vielleicht hat sie sich jenes allererste Mal, das wie eine Probe war für kommendes Leid, entschuldigt, für die Tränen, für die kleinen Seufzer. Sprachlos und langsam spinnt die Zuhörerin Beruhigung und während sich die Begegnung um den Tisch herum bis hin zum Gehweg ausdehnt, zerbricht der Klang, die Sonne wechselt die Seite. Frühling. Unerfahrenheit ist nicht immer ein schlechter Ratgeber, und oft ist es unmöglich zu wissen, ob wir wohlgetan haben. Wir sind dann noch so jung, und die Wut quillt über wie ein zugestandenes Glas, trinkt davon, löscht euren Durst. Wir stellen uns vor, wir hätten den Schmerz berührt, und das ist auch gut so. Was auch immer geschieht, wir wissen es nicht, umkreisen es nur von der einen Seite wie von der anderen, reihen aneinander abwechselnd Worte von Abgrund und Trost. Die Stunden vergehen in der Sonne und vor uns die leeren Kaffeetassen.

 

Ich bitte um ihre Erlaubnis – nur ihre, ich sage es mal ganz klipp und klar.

 

 

II.

 

Ich treffe sie und es ist schon spät – ich kann mich in ihr gewaltiges Leid nicht hineindenken. Ich weiß schon, dass Schlagwerk und Saitenklinger zu hören waren, als ich abwesend war. In meiner Hand, die ich nachdenklicher öffne, zeige ich, was ich fasse: nennen wir es Liebkosung. Ιhre öffentliche Stimme, auch mir gegenüber, überwiegt die Trauer. Nie wieder an diesem Tag sitzen wir uns gegenüber, sondern nahe beieinander. Beschreibung als Vehikel erweist sich als wertlos, sie bemüht sich auch nicht darum: durch eine einzige nackte Linie flüstert sie mir den Ausweg zu, die Rückkehr, den Absturz. Alles kehrt zurück, die Kioske, die Höhen, Saloniki, und wir graben pausenlos Wege im Zirkus.

 

 

III.

 

Wenn ihr bis hierher gekommen seid, seid vorsichtig – ich beiße. Ich beiße jeden, der schändet, was mir heilig ist. Lass uns woanders hingehen, schlägt sie vor, als sie ankommt, wir fahren mit dem Auto ans Meer, das große Sakrament. Sie war ins Unglück eingetaucht und in alle Vorsilben der Verneinung, zwischendurch ließ sie mich wissen, dass sie ihn verliert, mehr wollte sie aus der Ferne nicht sagen – was auch. Vom Drücken werden jetzt die Gelenke unserer Finger weiss. Im Sand bauen ihre Kinder Gräber.

 

Wenn ihr bis hierher gekommen seid, seid vorsichtig – ich beiße. Ich beiße jeden, der schändet, was mir heilig ist.Lass uns woanders hingehen, schlägt sie vor, als sie ankommt, wir fahren mit dem Auto ans Meer, das große Sakrament. Sie war ins Unglück eingetaucht und in alle Vorsilben der Verneinung, zwischendurch ließ siemich wissen, dass sie ihn verliert, mehr wollte sie aus der Ferne nicht sagen– was auch. Vom Drücken werden jetzt die Gelenke unserer Finger weiss.Im Sand bauen ihre Kinder Gräber.

 

 

 

Tacita Dean, who also appears in Kleito, working on The Montafon Letter in Los Angeles, 2017

photo: Fredrik Nilsen Studio

>