Baubo
Baubo was written on the day after the catastrophic fires of the end of July 2018 in Greece. As an intimate homage to the more than hundred victims, I wrote a piece of the text every morning of the remaining days of July and the following month of August. Below is the first day’s text translated into German by Marina Agathangelidou for a reading at LCB in Berlin in October 2019.
Baubo
Das gleiche gilt für die vorzeitig gealterten Frauen, die den Berg besteigen, ohne Zähne, ohne Schuhe, mit schwarzem Zahnfleisch, mit Falten um die Augen: uns gehört das Lächeln, ihnen die
Wettervorhersage. Die Nacht, die hereinbricht, verzeiht alles, sagen wir, während sie uns vom unausweichlichen Auge der Welt abzieht: sowohl den Durst des Tages als auch die Hingabe an den
Instinkt, der sagt, schon wieder: falle jetzt.
Das dumpfe Knarren der Haustür war zu hören in der Mittagsstunde, danach Schweigen unter der Sonne, weil sie den brennendheißen Zement leise betrat, auch bevor sie starb. Ich wusste durch
den Klang der Haustür, dass ich sie die Treppe hinaufsteigend finden würde. Sie schmolz das Gebäck mit dem Zahnfleisch und der Zunge, Speichel hatte sie, Zähne hatte sie keine. Der Schatten
deines Hauses, sagte sie, ist tief, und setzte sich hin. Sie war inkonsistent, was die Anzahl ihrer Kinder anging: mal vier, mal fünf. Sie ließ Plastiktüten mit Kräutern an der Haustürklinke
hängen.Andere ließen Auberginen, Birnen, Feigen. Die Feigen fallen unentwegt, darüber die Wespen. Zitronen fallen auch und niemand sammelt sie ein. Reiches Land, sagt der Adoptivsohn. Wie
er, der nicht mehr die Gesichter zu erkennen wusste und Unbekannte grüßte, hinuntergehend auswarf: Armut findet alle Wege und Stege, und er lachte, und dabei berichtigte er den Strohhut auf
dem Kopf. Alle, die auf seinen ausländischen Reiz angewiesen sind, lächeln nachgiebig, und wir essen Häppchen und trinken Bier und rauchen verblüfft in unserer ewigen Pause bis zum Abend.
Manchmal lachte sie mit einer Geschichte, die sie gerade erzählte. Weil ich wusste, das sie unter den Röcken keine Unterhose trug: Baubo. Die Haut ihrer Füße war Sohle. Oft sah ich in der
Dämmerung, wie sie zu Maulesel den Berg bestieg. Als sie ganz blind wurde, stieg sie nachts.
Uns die Höflichkeit, ihnen die Grobheit, die Wut und die Beschimpfungen. Ich hörte den Nachklang der Streite, die Worte flohen in die Abgründe, zusammen mit dem Schreien des Fuchses und
dem Pfeil des Falken: doch war ihr Ärger wie Mordshitze, zerbrach nirgendwo und blieb da, auf jedem Stein, auf jedem Blatt, so gleichgültig den Lauschern, den Dichtern gegenüber, wie auch die
feurige Welt. Umblättern und wieder von vorne.
Auf ihrem Pfad fand ich eine Schildkröte. Das war sie, und adios, bis bald.
Ihre Schwiegertochter, noch dürrer, ihr Haupt wurde weiß gleich nach der Hochzeit. Sie trug Hosen und ihre Wangen waren wie gegraben von den Falten. Auf dem Plateau versteckte sie sich unter
den Tieren unter dem Vorwand, dass sie auf sie aufpasste. Man rief ihr, sie solle kommen und die Gäste begrüßen, aber sie kam nicht heraus. Man nahm sie mit auf den Berg und sie lernte ihn
auswendig. Sucht ruhig weiter. Ihr Mann ging abends bergauf und bergab, es heißt, er sei stark wie drei Pferde. Einmal wachte ich vom Knall der Hufeisen auf den Steinen auf, und lehnte mich aus
dem Fenster, um nachzusehen. Er sah mich, wie ich mich nackt aus dem Fenster bückte, und ritt gelassen, den Zügel in der Hand, weiter.
Ich kaufte ihr zwei Pflanzen, sie wusch mir zwei alte Teppiche mit viel Wasser. Ihr Schwiegervater sagte: Ob du es glaubst oder nicht, habe ich hunderttausend auf der Bank. Als er im Sterben lag,
verlangte er mit einem Kind zu sprechen: sag deinem Vater, ich verzeihe ihm, dass er mir auch verzeihe, denn ich sterbe. Es blieben die zwei Jüngsten auf dem Berg, nie wurden sie zusammen
gesehen.
Sie sprang ins Meer. Dreh dich um und zucke, Hund.
Es regnet jetzt, sagt sie mir. Die Zisterne deines Hauses wird voll sein. Im Bus reden die Touristen über Politik und essen chinesische Melone. Sie wischen sich die Finger an den Oberschenkeln ab,
und zwei Schwestern sprechen einander kultiviert und brutal an, ihre schlaffen Arme zucken. Wenn Heimat das abstoßendste Wort ist, warum mein schwarzer Stein heute?
Portrait of Sofonisba Anguissola by van Dyke
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